Die Bildungspolitik in BaWü
ist seit 2016 von Stillstand und Rückschritt geprägt

Doro Moritz

Im Gespräch mit Doro Moritz
(seit April 2008 Landesvorsitzende der GEW Baden-Württemberg)

Warum finden Sie es wichtig, dass Menschen sich außerhalb des Schul- und Bildungsbetriebs mit dem Thema Bildung befassen?

Schule und Bildung darf sich nicht in einem geschlossenen System abspielen. Dass sich Menschen außerhalb mit Bildung befassen, trägt zu einer Reflexion dessen bei, was unser Bildungssystem leistet und was wir brauchen. Das heißt nicht, dass die Menschen außerhalb alles besser wissen. Diese gemeinsame Auseinandersetzung mit Bildung kann zu einem besseren Verständnis zwischen Akteur/innen des Bildungssystems und den Menschen außerhalb führen und ermöglicht den berühmten Blick über den Tellerrand.

Welche Bedeutung hat gute Bildung in Deutschland und insbesondere für uns in Baden-Württemberg?

In Sonntagsreden hat Bildung eine große Bedeutung, in der konkreten Politik wird Bildung in Deutschland und in Baden-Württemberg vernachlässigt. Deutschland steht mit seinen Bildungsausgaben nur im Mittelfeld der OECD-Staaten. Vor allem wird im Vergleich zu erfolgreicheren Ländern viel weniger für frühkindliche Bildung und Grundschule ausgegeben. Das führt dazu, dass die Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft größer ist.

Wie können wir Schüler motivieren und unterstützen; ist unser jetziges Schulsystem den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen? Was muss sich ändern?

Zentrale Aufgabe ist es, Schüler/innen an jeder Schule so anzunehmen, wie sie sind. Der Umgang mit der Heterogenität ist für mich eine zentrale Aufgabe aller Schulen. Klar muss auch sein, dass jede Schule für Schüler/innen und Lehrkräfte die Unterstützung bekommt, die sie braucht, um alle ihre Aufgaben gut bewältigen zu können. Die Schule, die auf alle allgemeinbildenden Abschlüsse vorbereitet, inklusiv arbeitet und Ganztagsschule ist, muss besser ausgestattet sein als die, die diese Aufgaben nicht hat. Mich beindruckt das Coaching an den Gemeinschaftsschulen. Das sollte an allen Schulen eingeführt werden. Im Coaching werden Schüler/innen ernstgenommen und ermutigt. Schüler/innen reflektieren ihr Lernen, übernehmen Verantwortung für sich, setzen sich Ziele. Sie lernen für sich und nicht für Klassenarbeiten, Eltern oder die Lehrerin. Sie erleben, dass sie Herausforderungen erfolgreich gewältigen können. Selbstwirksamkeit, Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, verantwortlich handeln – das sind individuell und gesellschaftspolitisch wichtige Kompetenzen.

Brauchen wir noch Schulfächer?

Eine radikale Schulreform traue ich unserer Gesellschaft nicht zu. Die Schulfächer werden wir weiterhin haben. Deutlich mehr projektorientiertes, themenübergreifendes und an der Lebenswirklichkeit orientiertes Lernen kann den engen Rahmen der Fächer weiten.

Welche Bedeutung hat für Sie der Begriff lebenslanges Lernen?

Bei dem Begriff denke ich vor allem daran, dass Schule Freude am Lernen und die Kompetenz für die individuelle Gestaltung des Lernens vermitteln muss. Der Begriff beinhaltet für mich auch, dass das, was jemand in seinem Leben erreichen kann, nicht am Ende der 4. Klasse oder an einer anderen Stelle der Schullaufbahn als endgültig abgeschlossen und entschieden betrachtet werden darf.

Wie wichtig finden Sie den Austausch zwischen Akteuren im Bereich Bildung (z.Bsp. unser Innovationscamp Bildung)?

Die Bildungspolitik in Baden-Württemberg ist seit 2016 von Stillstand und Rückschritt geprägt. Es ist wichtig, dass Menschen, die allen Kindern und Jugendlichen die bestmöglichen Chancen eröffnen, sich zusammentun, Ideen und Informationen austauschen. Es muss darum gehen, dies öffentlich sichtbar zu machen und gemeinsam Ideen für Veränderungen zu entwickeln. Es tut gut, die Erfahrung zu machen, dass man mit seinen Positionen und Aktivitäten nicht allein ist. Das ermutigt.

Inwieweit sind Bildung und auch die Bildung in der Schule mit den Visionen für unsere gesellschaftliche Zukunft verknüpft?

Schule kann nicht für alle (Fehl-)Entwicklungen unserer Gesellschaft verantwortlich gemacht werden. Wenn wir verantwortungsbewusste, handlungsfähige und tolerante Bürger/innen wollen, müssen diese Haltungen und Positionen in der Schule erfahren, gelernt und gelebt werden können.

Alles in allem, was ist die größte Herausforderung der Bildung in den nächsten Jahren?

Oh je! Es muss gelingen, aus dem derzeitigen wirkungslosen Aktionismus in der Bildungspolitik eine Politik zu machen, die ernsthaft Bildungsbenachteiligung abbaut und die Arbeit an den Schulen so unterstützt, dass junge Leute gerne den Lehrerberuf ergreifen. ​

Wir sagen vielen herzlichen Dank an Doro Moritz 🙂

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